Als ich dieses Schild sah, dachte ich: 'Naja, Lidl, das steht nicht gerade für Gymnasiasten und Germanisten... Kann ja mal passieren.' Aber irgendwie schwante mir schon, dass ich es hier vielleicht doch nicht mit einem Einzelfall zu tun hatte. Und prompt stach mir dann einige Tage später dieses Inserat in die Augen:
In meinem Kopf war in diesem Moment Folgendes zu hören:
Also, liebe Schweiz. Nach meinem ersten Aufschrei aufgrund einer grammatischen Vernachlässigung trete ich nun wieder in der Rolle des Deutschlehrers und pedantischen Linguisten vor dich. Wenn wir einEN unbestimmtEN Artikel im Akkusativ vor ein männliches Nomen stellen, dann flektieren wir diesen, indem wir das Suffix -en anhängen. Einfach veranschaulicht: Man trägt "EIN T-Shirt", aber "einEN Hut". Man hat "KEIN Mitleid", aber "keinEN blassen Schimmer". Soweit die Grammatik.
Ich hielt dann in meiner Neugier auch noch eine Weile lang auf Facebook die Augen offen und fand diesen Fehler in regelmässigen Abständen in den verschiedensten Threads. Und sofort wurde mir klar, dass nicht nur wir Schweizer damit kämpfen. In Deutschland scheint der Fehler sogar schon fast Kultstatus erreicht zu haben: Die Facebookseite "Nachdenkliche Sprüche mit Bilder" macht sich mit ihren Posts über die ach so tiefgründigen Statusmeldungen mancher User lustig und verwendet den Fehler nicht nur ganz gezielt als "Stilmerkmal", sondern geht sogar noch einen Schritt weiter und ersetzt den unbestimmten Artikel durch eine Zahl, weswegen man annehmen muss, dass selbst das mittlerweile zur Mode wird:
Wie konnte es nun zu dieser Mode kommen? Speziell in der Schweiz könnte als Ursache angeführt werden, dass die Flektierung im Schweizerdeutschen sehr undeutlich ist. Im Baseldeutschen ist alles "e": "I ha e Döner gässe." In Zürich gibt's immerhin noch das n dazu: "Ich han en Frosch küsst." Da kann es verständlicher scheinen, dass sich die Regeln beim einen oder anderen nicht so leicht einprägen. Der Hauptgrund dürfte aber in den Eigenschaften der Mündlichkeit liegen: Das -en ist ein Suffix, das man bei gesprochenem Hochdeutsch kaum mehr hört: "Alta, haste dir eansthaft n' Hund gökauft?"
Wenn ich ganz ehrlich bin, halte ich das ganze Genus-Gehabe im Deutschen eigentlich für ziemlich unnötig, auf Englisch geht's ja auch ohne dass man Artikel anpassen muss, nur weil mal jemand beschlossen hat, dass ein Traktor männlich sein soll, eine Tanne weiblich und ein Tablett sächlich. Vielleicht wäre es ja gar nicht so schlecht, wenn sich das 1 durchsetzen sollte (und vor allem witzig!). Leuten mit Migrationshintergrund sind unsere Artikel und Präpositionen so schleierhaft, dass sie sie oft einfach weglassen (Ich ha Kolleg troffe und mir sin Kino gange). Wir würden also auch etwas für die Integration tun.
In diesem Sinn wünsche ich Ihnen noch 1 schöner Tag!
-Der Sprachbeschreiber
*= Im Schweizerdeutschen tun wir hingegen genau das ständig: Anhand unserer Vorstellungen, wie die Sprache klingt, verschriftlichen wir sie, jeder etwas anders. Das wäre auch mal noch ein spannendes Thema...
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