(Aus: Kling, Marc-Uwe (2009): Die Känguru-Chroniken)
Recht hast du, Känguruh: Die Sprache ist immer wieder auch Spiegel der Kultur, in der sie gesprochen und von der sie folglich beeinflusst und geformt wird. Sprache lebt. Das sehen wir nur schon daran, dass es unregelmässige Verbformen gibt: Diese sind in der Regel das Resultat von mündlicher Weitergabe. Was sich verbreitet, das setzt sich durch, wie zum Beispiel auch das Wort "Keks", das dadurch entstand, dass das deutsche Backwarenunternehmen Bahlsen eins seiner Produkte "Leibniz-Cakes" nannte, was die Deutschen so mangelhaft aussprachen, dass dann schliesslich "Keks" daraus wurde. In diesem Wort manifestiert sich also quasi die Inkompetenz der meisten Deutschen in Bezug auf die Aussprache englischer Wörter.
Faszinierend ist in dieser Hinsicht besonders das Projekt DDR-Duden. Damals im Osten, wo ja das Känguru auch viele Jahre verbrachte, wollte die sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) die Sprache der BürgerInnen quasi auf die Staatsideologie "zuschneiden". Das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen beschrieb 1973 den Unterschied der Sprache des "Arbeiter- und Bauernstaats" zum "Westdeutschen" folgendermassen:
"Das grammatische Grundsystem der Sprache zeigt keine ins Gewicht fallenden Differenzierungen. Der Anteil der Unterschiede im Wortschatz dürfte bisher sicher noch unter 3 Prozent liegen. Schwerpunkte eines abweichenden Wortschatzes liegen insbesondere im politisch-ideologischen Bereich, bei den Begriffen aus dem Berufsleben und aus der Wirtschaft sowie im Bereich von Bildung und Kultur."
Germanist Willi Steinberg lobte den Duden-Ost, weil er "alle Wörter führt, die das Heldentum der Arbeit und die Taten unserer Menschen für Frieden und Fortschritt widerspiegeln". Wörter, die der "richtigen Gesinnung des Volkes" abträglich schienen, wurden kurzerhand gestrichen, darunter "Meinungsfreiheit", "Weltreise", "Kreuzfahrt" oder "Republikflucht". Um durch die Zustimmung der BürgerInnen gegebene Legitimität des Staates und seiner Organe vorzutäuschen, wurden aus zahlreichen Wörtern mit dem Bestimmungswort "Volk-" Komposita gebastelt wie "Volksrichter", "Volkspolizei", "Volksuniversität", "Volksgesundheit", "Volksfeind", "Volkszeitung" und der zu Kopfschütteln mit Grinsen anregende Pleonasmus "Volksdemokratie" sowie die "Volkswahl" und natürlich die "Volksrepublik". Vereinzelt wurde auch versucht, Worte zu ersetzen statt verschwinden zu lassen. Aber den Osterhasen zum "Frühjahrschokoladenhohlkörper", den Weihnachtsengel zur "Jahresendflügelfigur" und Nudeln oder Kartoffeln zu "Sättigungsbeilagen" zu machen, darf wohl als etwas sehr gewagter Versuch der Abhebung vom "Klassenfeind" im Westen bezeichnet werden. Bestehende Begriffe erhielten auch vermehrt veränderte Definitionen:
Parlamentarismus (Westen, 1954): Beschränkung demokratischen Handelns auf das Parlament
Parlamentarismus (Osten, 1957): bürgerliche Regierungsform, in der formal das Parlament die Politik bestimmt
Bourgeoisie (Westen, 1973): (wohlhabender) Bürgerstand (auch: durch Wohlleben entartetes Bürgertum)
Bourgeoisie (Osten, 1969): die herrschende Klasse in der kapitalist. Gesellschaft
Kapitalismus (Westen, 1973): Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, deren treibende Kraft das (übersteigerte) Gewinnstreben einzelner ist
Kapitalismus (Osten, 1969): Gesellschaftsformation und Produktionsweise, die auf dem Privateigentum an den Produktionsmitteln und auf der Ausbeutung der Lohnarbeiter beruht
Verrückt, nicht? Für mich als Student der angewandten Linguistik sind die Hintergedanken der Bestrebungen der SED zwar verständlich; die Sprache ist so eng mit der Kultur verflochten, dass es sehr wertvoll wäre, wenn die beiden einander jeweils neu angepasst werden könnten. Aber so eine "sprachliche Umerziehung" lässt sich nicht ohne weiteres durchziehen, es wird eben gesprochen, wie gesprochen wird, manches setzt sich durch, manches nicht. Aber das Känguru hat auch in der heutigen Sprache erneut eine Manifestation entdeckt...
"Es heißt ja - und das nicht zu Unrecht - Geben sei seliger denn nehmen", sagt das Känguru. "Auch ist allen klar, dass man dem Geber Dank schuldet, wohingegen der Nehmer zu danken hat. Und da Sprache eine Waffe ist, lassen Sie mich kurz etwas über die Begriffe Arbeitgeber und Arbeitnehmer klar stellen, bevor wir dieses sogenannte Bewerbungsgespräch fortführen." Der Personalchef ihm gegenüber zuckt mit den Achseln. (...) "Arbeitgeber und Arbeitnehmer", sagt das Känguru, "diese beiden Worte sind falsch. Es sind Wortzusammensetzungen nur geschaffen um die Wahrheit zu verdrehen, die Arbeitenden zu verwirren, ja, es sind Klassenkampfkomposita - bitte beachten Sie die gelungene Alliteration. Eigentlich ist nämlich der sogenannte Arbeitgeber der Arbeitnehmer und der Arbeitnehmer der Arbeitgeber. Der Arbeitnehmer nämlich gibt seine Arbeit dem Arbeitgeber und der Arbeitgeber nimmt die Arbeit des Arbeitnehmers und verwertet diese zu seinem Gewinn. (...) Da ich mich nicht an dieser Verblendung des Volkes beteiligen möchte", sagt das Känguru, "bitte ich um Ihr Verständnis dafür, dass ich diese beiden Worte im vertauschten oder vielmehr vertauscht scheinenden aber eigentlich richtigen Sinn benutzen werde."
(Aus: Kling, Marc-Uwe (2014): Die Känguru-Offenbarung)
Vielleicht fällt Ihnen ja auch mal so etwas auf..? Watch your language.
-Der Sprachbeschreiber
Quellen:
http://www.stiftikus.de/material/FALK.pdf
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45876620.html