Dienstag, 23. Dezember 2014

33: Kuriositätenkabinett 2014

Hi there!

Zum Abschluss des Jahres 2014 beabsichtige ich, mich einer eher banalen und doch wunderbar unterhaltsamen Beschäftigungsmöglichkeit für einen Sprachbeschreiber zu widmen: Auffällig formulierte Schriftstücke, die ich dieses Jahr sammeln konnte, präsentieren und kommentieren. Folgen Sie mir in ein klitzekleines Kabinett der Kuriositäten des Sprachgebrauchs.

Hm... Wenn Sie mal jemandem mit angestrengt gesenktem Kopf durch die Strassen laufen sehen, dann dürfte es sich also um einen Head and Shoulders-Nutzer handeln. "Idiomatikignoranz" bei der Wortwahl nenne ich das. Unter "Augenkontakt" versteht man bei uns nicht in erster Linie, dass etwas mit den Augen in Berührung kommt. Aber das merkt nicht jeder...

Dieses Problem macht mannigfaltig Mühe, auch im Blick am Abend: Hat man einen weiblichen Chef oder eine weibliche Chefin? Wählt man das Oxymoron oder den Pleonasmus?  Hier jedenfalls musste ich schmunzeln. Sie auch? Da haben's etwa die anglophonen Personen einfacher... Warum muss man jedem Nomen unbedingt das Geschlecht ansehen? Von den französischen Anpassungsregeln will ich gar nicht erst anfangen... Und apropos political correctness:


Meine sehr verehrten Poulets und Pouletinnen... Bzw. im Französischen "poulette" und im Italienischen "polla"..? Ja, man kann's auch übertreiben mit der sprachlichen "Gleichheit" - die durch dieses Vorgehen sowieso nicht erreicht wird. Es kommen an unserer Hochschule gelegentlich DozentInnen vor, die ausschliesslich weibliche Personenbezeichnungen gebrauchen, die also etwa nur vom Beruf der Übersetzerin sprechen. Dass das ihrer eigenen Argumentation folgend nicht weniger diskriminierend ist, wird anscheinend nicht realisiert oder bewusst in Kauf genommen.

Wo soll ich da anfangen... Also, das Grundwort "Seminar" ist kein Name, man muss also von "das Nachtseminar Winterthur" sprechen. "Musikbegeisterte DJs"... "Grüblerische Philosophen"... "Naturverbundene Bauern"... "Grosse Riesen"... "Nasses Wasser"... ...alles auf der selben Kreativitätsstufe. Zudem gibt es den Genitiv-Apostroph nur im Englischen; auf Deutsch signalisiert er, das etwas ausgelassen wurde. Zu guter letzt fehlt das Komma, das den Nebensatz einleitet (DJs, die...). Lauter postmoderne Trendfehler - als leidenschaftlicher Korrekturleser weiss ich, wovon ich rede.

Leset und staunet...

Jaja, wieder einmal eine unglücklich konstruierte Syntax. Da kommen die mit ausreichender linguistic awareness ausgestatteten Personen wie der gute Oli hier aus allen Ecken gekrochen und haben ihren Spass dran.

Wie meinen, Blick am Abend? Ob Frauen grösser sein dürfen als der Partner des Lesers, oder ob Frauen grösser sein dürfen als der eine Partner, den sie sich teilen?




Kicher kicher. Tja, wieder ist Weltwissen für das richtige Verständnis eines Kompositums gefragt. Da war eine oder einer ganz witzig und konnte sich einen Hinweis darauf nicht verkneifen.
Bei der Erstellung dieser Umfrage war wohl der Ermittlerausschuss zur Entlarvung von Menschenhändlern beteiligt...



Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Und vergessen Sie nicht: Die sprachlichen Kuriositäten sind überall. Open your eyes. Und es sei wieder einmal erwähnt: Wenn Sie was Schönes finden, dann machen Sie doch ein Foto und lassen Sie's mir zukommen, damit die Welt mitkichern und -studieren kann. Danke und frohe Festtage, wir sehen uns nach der Winterpause ( mal schauen, wie lang die dauert... ich sach' mal Mitte Februar)!

-Der Sprachbeschreiber

Montag, 8. Dezember 2014

32: Inspiriert vom Känguru #3: Sprachliche Manifestation

"Ich kann nich' Auto fahren", sagt das Känguru. "Ich habe meine Führerscheinprüfung abgebrochen, weil ich Rechts vor Links nicht akzeptieren wollte." "Wie?!". "Warum Rechts vor Links? Warum nicht Links vor Rechts? Sogar in Australien gibt's Links vor Rechts, und das Heimatland meiner Vorfahren kann sich sonst nicht gerade einer sehr fortschrittlichen Politik rühmen." "Was?". "Da muss man doch ma' drüber reden!". "Wie?". "Ich meine, wenn wir eins aus der Frauenbewegung gelernt haben, dann isses doch, dass sich Unterdrückungsmuster schon in der Sprache manifestieren!". "Was?". "Liebe LeserInnen", sagt das Känguru mit großem I. "Wie?". "Hast du n' Hänger?!", fragt das Känguru. (...) "Soll ich dir ma' auf'n Hinterkopf hau'n?". "Was?". Das Känguru haut mir auf den Hinterkopf. "Ey!", sage ich. "Dekonstruktivismus!", sagt das Känguru. "Kenn' ich", sage ich. "Na also! Rechts vor Links, das is' ein reaktionär-konservatives Unterdrückungsmuster, manifestiert in der StVO!". "Was?". "Ich mein' warum Rechts vor Links? Warum nich' Links vor Rechts? Warum?". "Weiß nich'", sage ich. "Das hat mein Fahrlehrer auch gesagt, das konnt' ich so nicht akzeptieren! Da bin ich trotzdem zuerst gefahr'n!". "Konsequent", sage ich. "Ich meine warum heißt es Recht haben und nicht Link haben?". "Hm", sage ich. "Warum ist ein rechtes Ding positiv konnotiert, ein linkes Ding negativ?". "Hm". "Warum spricht ein Richter nicht Link?". "Hm." "Wahrscheinlich weil er ein rechter Sack ist!", sagt das Känguru. 
(Aus: Kling, Marc-Uwe (2009): Die Känguru-Chroniken)

Recht hast du, Känguruh: Die Sprache ist immer wieder auch Spiegel der Kultur, in der sie gesprochen und von der sie folglich beeinflusst und geformt wird. Sprache lebt. Das sehen wir nur schon daran, dass es unregelmässige Verbformen gibt: Diese sind in der Regel das Resultat von mündlicher Weitergabe. Was sich verbreitet, das setzt sich durch, wie zum Beispiel auch das Wort "Keks", das dadurch entstand, dass das deutsche Backwarenunternehmen Bahlsen eins seiner Produkte "Leibniz-Cakes" nannte, was die Deutschen so mangelhaft aussprachen, dass dann schliesslich "Keks" daraus wurde. In diesem Wort manifestiert sich also quasi die Inkompetenz der meisten Deutschen in Bezug auf die Aussprache englischer Wörter.

Faszinierend ist in dieser Hinsicht besonders das Projekt DDR-Duden. Damals im Osten, wo ja das Känguru auch viele Jahre verbrachte, wollte die sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) die Sprache der BürgerInnen quasi auf die Staatsideologie "zuschneiden". Das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen beschrieb 1973 den Unterschied der Sprache des "Arbeiter- und Bauernstaats" zum "Westdeutschen" folgendermassen:

"Das grammatische Grundsystem der Sprache zeigt keine ins Gewicht fallenden Differenzierungen. Der Anteil der Unterschiede im Wortschatz dürfte bisher sicher noch unter 3 Prozent liegen. Schwerpunkte eines abweichenden Wortschatzes liegen insbesondere im politisch-ideologischen Bereich, bei den Begriffen aus dem Berufsleben und aus der Wirtschaft sowie im Bereich von Bildung und Kultur."

Germanist Willi Steinberg lobte den Duden-Ost, weil er "alle Wörter führt, die das Heldentum der Arbeit und die Taten unserer Menschen für Frieden und Fortschritt widerspiegeln". Wörter, die der "richtigen Gesinnung des Volkes" abträglich schienen, wurden kurzerhand gestrichen, darunter "Meinungsfreiheit", "Weltreise", "Kreuzfahrt" oder "Republikflucht". Um durch die Zustimmung der BürgerInnen gegebene Legitimität des Staates und seiner Organe vorzutäuschen, wurden aus zahlreichen Wörtern mit dem Bestimmungswort "Volk-" Komposita gebastelt wie "Volksrichter", "Volkspolizei", "Volksuniversität", "Volksgesundheit", "Volksfeind", "Volkszeitung" und der zu Kopfschütteln mit Grinsen anregende Pleonasmus "Volksdemokratie" sowie die "Volkswahl" und natürlich die "Volksrepublik". Vereinzelt wurde auch versucht, Worte zu ersetzen statt verschwinden zu lassen. Aber den Osterhasen zum "Frühjahrschokoladenhohlkörper", den Weihnachtsengel zur "Jahresendflügelfigur" und Nudeln oder Kartoffeln zu "Sättigungsbeilagen" zu machen, darf wohl als etwas sehr gewagter Versuch der Abhebung vom "Klassenfeind" im Westen bezeichnet werden. Bestehende Begriffe erhielten auch vermehrt veränderte Definitionen:

Parlamentarismus (Westen, 1954): Beschränkung demokratischen Handelns auf das Parlament
Parlamentarismus (Osten, 1957): bürgerliche Regierungsform, in der formal das Parlament die Politik bestimmt

Bourgeoisie (Westen, 1973): (wohlhabender) Bürgerstand (auch: durch Wohlleben entartetes Bürgertum)
Bourgeoisie (Osten, 1969): die herrschende Klasse in der kapitalist. Gesellschaft

Kapitalismus (Westen, 1973): Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, deren treibende Kraft das (übersteigerte) Gewinnstreben einzelner ist
Kapitalismus (Osten, 1969): Gesellschaftsformation und Produktionsweise, die auf dem Privateigentum an den Produktionsmitteln und auf der Ausbeutung der Lohnarbeiter beruht

Verrückt, nicht? Für mich als Student der angewandten Linguistik sind die Hintergedanken der Bestrebungen der SED zwar verständlich; die Sprache ist so eng mit der Kultur verflochten, dass es sehr wertvoll wäre, wenn die beiden einander jeweils neu angepasst werden könnten. Aber so eine "sprachliche Umerziehung" lässt sich nicht ohne weiteres durchziehen, es wird eben gesprochen, wie gesprochen wird, manches setzt sich durch, manches nicht. Aber das Känguru hat auch in der heutigen Sprache erneut eine Manifestation entdeckt...

"Es heißt ja - und das nicht zu Unrecht - Geben sei seliger denn nehmen", sagt das Känguru. "Auch ist allen klar, dass man dem Geber Dank schuldet, wohingegen der Nehmer zu danken hat. Und da Sprache eine Waffe ist, lassen Sie mich kurz etwas über die Begriffe Arbeitgeber und Arbeitnehmer klar stellen, bevor wir dieses sogenannte Bewerbungsgespräch fortführen." Der Personalchef ihm gegenüber zuckt mit den Achseln. (...) "Arbeitgeber und Arbeitnehmer", sagt das Känguru, "diese beiden Worte sind falsch. Es sind Wortzusammensetzungen nur geschaffen um die Wahrheit zu verdrehen, die Arbeitenden zu verwirren, ja, es sind Klassenkampfkomposita - bitte beachten Sie die gelungene Alliteration. Eigentlich ist nämlich der sogenannte Arbeitgeber der Arbeitnehmer und der Arbeitnehmer der Arbeitgeber. Der Arbeitnehmer nämlich gibt seine Arbeit dem Arbeitgeber und der Arbeitgeber nimmt die Arbeit des Arbeitnehmers und verwertet diese zu seinem Gewinn. (...) Da ich mich nicht an dieser Verblendung des Volkes beteiligen möchte", sagt das Känguru, "bitte ich um Ihr Verständnis dafür, dass ich diese beiden Worte im vertauschten oder vielmehr vertauscht scheinenden aber eigentlich richtigen Sinn benutzen werde." 
(Aus: Kling, Marc-Uwe (2014): Die Känguru-Offenbarung)

Vielleicht fällt Ihnen ja auch mal so etwas auf..? Watch your language.

-Der Sprachbeschreiber

Quellen:

http://www.stiftikus.de/material/FALK.pdf
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45876620.html