Montag, 30. Juni 2014

25: Ein paar Worte zur Höflichkeit

IMPORTENT ÄNNAUNZMENT
Der Sprachbeschreiber nimmt sich die Freiheit, nach dem heutigen 25sten Post in eine Sommerpause zu gehen. Ich schaue dann spontan, wann's wieder losgeht... Frühestens im August, spätestens Mitte September. Jetzt wissen Sie Bescheid und dürfen sich daher nun den vorerst letzten Post zu Gemüte führen.


Gestatten?
Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich heute gerne über Höflichkeit schreiben.

Auf sprachlicher Ebene ist Höflichkeit nämlich ein grosses, anspruchsvolles Thema. Wenn sich zwei wohlerzogene Menschen treffen, die sich noch nicht kennen, die den anderen auf den ersten Blick als respektabel erachten und die dann auch noch etwas voneinander erfragen wollen, dann regnet es Höflichkeit. Man will einander keinesfalls auf die Füsse treten. Meist fängt das mit einem Befehl an: "Entschuldigen Sie...". Oh ehrenhafter Fremder, verzeihen Sie mir, dass ich Sie anspreche! Welch eine Sünde, Gott sei meiner armen Seele gnädig! Schon krass, dass man so etwas Verschrobenes sagt. Aber wir sind es uns gewohnt, schonend an Fremde heranzugehen, und das macht man bei uns nun mal so. Was nützt's, das zu kritisieren - es fühlt sich ja doch keiner angegriffen, wenn er so zum Entschuldigen aufgefordert wird. Aber sich das mal vor Augen zu führen, ist vielleicht interessant - siehe Post 5.

Im Hauptteil gilt dann: Seien sie diskret, nicht direkt. Formulieren Sie "weich", nicht hart. Darüber macht man sich ja auch mal gern lustig:


Das führt dann auch zu Aussagen, die im wörtlichen Sinn ihren Zweck nicht erfüllen. "Würden Sie / Könnten Sie vielleicht...". Die Antwort würde "Ja/Nein" lauten. Man will einfach nicht direkt sein: "Wir würden uns freuen, wenn Sie die Rechnung in nächster Zeit bezahlen könnten..." / "Wären Sie bitte so freundlich, ihre Musikanlage ein klein wenig leiser zu machen..." / "Das ist meiner Meinung nach vielleicht nicht die allerbeste Idee...". Wenn man zu viel "softening" betreibt, wie das etwa den Kanadiern und Briten nachgesagt wird, dann muss man viel Interpretationsarbeit betreiben, um dem auf den Grund zu kommen, was einem der andere tatsächlich sagen will. Ich war schon zwei Mal auf der Insel und kann die Verlässlichkeit der folgenden Angaben bestätigen:


Überlegen Sie mal: Meist gilt, dass "besser" erzogene Menschen umso höflicher sind und sich eher durch Direktheit brüskiert fühlen. Die Affinität zur Höflichkeit ist also angelernt. Ist das eine gute Sache? Wozu brauchen wir überhaupt eine Höflichkeitsform und so viel indirektes Drumherum-Gerede? Klar, es ist ganz nett, wenn man merkt, dass jemand vor einem Respekt hat. Aber wenn aus dem Siezen und der umständlichen Diskretion ein Zwang wird, dann ist unnötige, trennende Distanz die Folge. Ich sieze zum Beispiel mein Publikum, weil ich das "Du" hier irgendwie unpassend fände, es würde zu informell wirken und am (zumindest teilweise) wissenschaftlich-professionellen Flair des Blogs kratzen. Aber ich finde ich das "Du" doch vor allem darum "irgendwie unpassend", weil mir das so beigebracht wurde. Wie Sie in Post 20 lesen konnten, ist Schweden dabei, sich von der Höflichkeitsform zu verabschieden. Studenten duzen dort ihre Dozenten. Wäre so etwas in unseren Breitengraden möglich? Ich sage nicht, dass wir die Höflichkeit abschaffen sollten - ich sage nur: Schauen Sie mal, was wir da eigentlich genau tun. Die Routine lässt uns solche Dinge kaum mehr bewusst beachten, die Wissenschaft bringt sie wieder ans Licht.

Sie sehen - wir sprechen hier wieder von Sprachtraditionen, die in unserer Sprache und Kultur verwurzelt sind, und über die sich bei näherer Betrachtung diskutieren lässt. Tun Sie das. Ihre lingustic awareness wird es Ihnen danken.

-Der Sprachbeschreiber

P.S. Ja, ich weiss, der Sprachbeschreiber beteiligt sich nicht an saisonalen Hypes, blablabla. Und der Post heute hatte ja auch gar nix mit der WM zu tun. Aber dieses wunderbare Video da unten schon. Es werden mit grossem Aufwand Elemente der bildhaften Sprache wörtlich genommen oder einfach auf naheliegende Weise anders interpretiert, und das Ergebnis finde ich herrlich. Ich hoffe, Sie auch. Einen schönen Sommer noch. Ich wünsche Ihnen coole Erlebnisse und Einfälle mit Ihrer linguistic awareness.

Montag, 16. Juni 2014

24: Vamos a la playa (Ein wenig Spanisch)

Diese Woche werde ich meinem Bloggernamen wörtlich extrem gerecht: Ich werde eine Sprache beschreiben. Ich hatte sie als Schwerpunktfach im Gymnasium und studiere sie jetzt als zweite Fremdsprache im Studiengang Übersetzen. Da ich Deutsch und Englisch schon genug um mich herum sehe und höre, habe ich alle meine elektronischen Systeme auf sie eingestellt, von facebook bis zum iPod. Sprechen Sie Spanisch? ¿Habla español?

Das wäre doch auch in anderen Sprachen einführungswürdig, dieses Fragezeichen am Anfang einer Frage, ¿nicht wahr? Und das ist erst der Anfang, wenn's um Dinge geht, die an der nach Englisch zweitwichtigsten Kommunikationssprache und nach Mandarin und Englisch drittmeistgesprochenen Sprache der Welt cool sind. Das spanische Spanisch nennt man auch "castellano", da es sich damals in Altkastilien, einer Region auf der iberischen Halbinsel, aus dem Lateinischen heraus entwickelte.

Zuerst die wichtigsten Regeln, damit sie spanische Wörter künftig richtig aussprechen können.
-Das "ñ" klingt wie "ni", das wissen Sie ja.
-Wörter, die mit einem Vokal, einem "n" oder einem "s" enden, betont man auf der zweitletzten Silbe, wie etwa "tormenta" (Sturm) oder "escaleras" (Treppen).
-Wörter, die mit anderen Konsonanten enden, werden auf der letzten Silbe betont, wie etwa arroz (Reis) oder Gibraltar.
-Ausnahmen von den eben genannten Regeln werden mit Akzenten angezeigt, wie bei otorrinolaringólogo (Halsnasenohrenarzt) oder ácaro (Milbe).
-Ein j spricht man wie ein "ch" hinten im Hals aus (z.B. rojo [rot]), genauso wie das "g" - falls dieses von einem "e" oder "i" gefolgt wird (z.B. girar [wenden]).
-Ein "ll" klingt wie ein deutsches "j". Da drängt sich das Beispiel auf: Mallorca = MaJorka (Schreibt's euch endlich hinter die Ohren! Auch wenn mir nicht klar ist, wie sich diese Redewendung in diesem Sinn durchsetzen konnte. Das Geschriebene sieht man ja dann nur noch äusserst selten...).
-Das "z" klingt wie ein "s" - in Spanien gelispelt, in Südamerika nicht. Auch das "c" wird so behandelt - wenn es von einem "e" oder "i" gefolgt wird.
-Zwischen der Aussprache eines "b" und eines "v" gibt es praktisch keinen Unterschied - versuchen Sie mal, zwischen den beiden Lauten zu balancieren. Das hat dazu geführt, dass die Hauptstadt Kubas auf Spanisch "La Habana" und auf Deutsch "Havanna" heisst.

Tolle Wörter gibt's auf Spanisch dank exotischen Einflüssen zuhauf. Pfirsich heisst "melocotón". "Guagua" heisst in Spanien "Säugling", in Südamerika "Bus". "Canguro" heisst nicht nur "Känguruh", sondern auch "Babysitter". Weitere tolle Wörter hat das Spanische vom Arabischen mitbekommen. Zum Beispiel natürlich den Artikel "el" (früher sagte man ja "Alchemie" statt "Chemie", da war noch der arabische Artikel dran). Das spanische Wort für Kopfkissen ist eins meiner Lieblinge: "almohada" (eine wörtliche Übersetzung für "Kissenschlacht" wäre dann folglich die über-episch klingende Bezeichnung "batalla de almohadas"). "Ojalá" bedeutet "hoffentlich". Eine Hostess ist eine "azafata" und eine Karotte eine "zanahoria". Auch die Bezeichnung "guitarra" ist arabischen Ursprungs, und Sirup heisst in Spanien dank dieser Einflüsse "jarabe".

Oft klingen schöne Ortsnamen nicht mehr so spektakulär, wenn man ihre Bedeutung kennen lernt. Ecuador ist ein südamerikanischer Staat, der herausfand, dass der Äquator durch ihn verläuft, und sich flugs danach benannte. Oder die Sierra Nevada? Das heisst "verschneites Gebirge". "España" kommt vom lateinischen "Hispania", dieses wiederum vom phönizischen "Ishapan", was soviel bedeutet wie "Land der Klippschliefer". Die Phönizier legten an und hielten die Kaninchen, die ihnen begegneten, für Klippschliefer. Seufz. Ach ja, und: Los Ángeles = Die Engel. Asunción = Auffahrt. Buenos Aires = Gute Lüfte. Das Portugiesische, dass sich aus einem spanischen Dialekt herausbildete, ist da übrigens nicht viel besser: "Rio de Janeiro" bedeutet "Januarfluss".

Para que pueda leer un poquito de español al fin de esta entrada y practicar su pronunciación, les dejo con algunas palabras en una de las lenguas más bellas del mundo. Espero que les haya podido mostrar un poco de qué interesante y bonita es. ¡Nos veremos!

Übersetzung: Damit Sie am Ende dieses Eintrags noch ein wenig Spanisch lesen und Ihre Aussprache trainieren können, gebe ich Ihnen noch ein paar Worte in einer der schönsten Sprache der Welt mit. Ich hoffe, dass ich Ihnen ein wenig zeigen konnte, wie interessant und schön sie ist. Man sieht sich!

-El descriptor de lengua

P.S.: "Vamos" heisst nicht "Gehen wir!", sondern nur "Wir gehen". Für die Befehlsform sagen Sie je nach Kotext "Vámonos" oder "Vayamos". "Vamos a la playa" ist keine Aufforderung, sondern eher eine Feststellung.

Montag, 2. Juni 2014

23: Street Art-Interpretationsspielerei

Der Linguistik wird ja des öfteren vorgeworfen, dass sie das Gegenteil einer exakten Wissenschaft sei. Das stimmt weitgehend. Sprache lebt nun mal, und manchmal ist der Interpretationsspielraum bei der Analyse von Sprechakten sehr, sehr gross. Und das werden Sie jetzt gleich mal vorgeführt bekommen. Ich habe nämlich ein echt spannendes Graffito gefunden (Ja genau: "Graffiti" ist wie "Paparazzi" ein italienischer Plural, folglich gibt es strenggenommen einen Singular, der auf "o" endet)! Und zwar unter einer Brücke quasi direkt vor meiner Haustür. Da ich hier mit "Ich" den Sprachbeschreiber meine, ist es natürlich ein linguistisch interessantes Graffito, das fast schon nach einer semantischen (Bedeutungs-) Analyse schreit:



Das ist fast schon sowas wie die Schmiererei der unbegrenzten Möglichkeiten. Da kann sich der Hobbylinguist austoben. Ich habe hier ein paar Möglichkeiten der Deutung ausgearbeitet.

MÖGLICHKEIT 1: Benennungskritik
Ein Problem terminologischer Art: Das Fahrrad wird in der Schweiz "Velo" genannt. Das ist eine Abkürzung für den veralteten Begriff "Veloziped". Das kommt vom französischen "vélocipède" und das wiederum entstammt einer Kombination der lateinischen Wörter "velox" (schnell) und "pes" (Fuss). Und vielleicht wollte der Street Artist hier diese Bezeichnung kritisieren. Velos..? Na ja. Ist ein Fahrrad denn tatsächlich schnell? Ist es in Zeiten von Auto, Zug und Flugzeug1 nicht übertrieben, den Drahtesel als Fortbewegungsmittel mit hohem Tempo zu bezeichnen? Dürfen wir dem Gerät noch "Velo" sagen? Sollten wir nicht das wertneutrale "Fahrrad" übernehmen oder ein neues Wort entwickeln? Wake up, Switzerland!
1= Übrigens: Heutzutage dürfte man eigentlich nicht mehr von "modern" sprechen, da die Moderne eine abgegrenzte historische Periode war. Wir sind bereits in der Postmoderne, also wäre etwas zeitgenössisch-fortschrittliches rein theoretisch als "postmodern" zu bezeichnen. Ich spiele mit dem Gedanken, meinen Sprachgebrauch diesbezüglich anzupassen... 

MÖGLICHKEIT 2: Hallooo, wo seid ihr?
Tiefste Nacht. Der kalte Wind lässt die Blätter rascheln, und graue Wolken ziehen am dunkelblauen Himmel dahin. Einsam stapft unser Street Artist durch die leeren Quartierstrassen. Irgendwann erreicht er eine Hauptstrasse. Brumm. Ein Auto. Brumm. Noch ein Auto. Brumm, brumm, brumm. Kein Klingeling. Nicht ein einziges Mal. Aufgewühlt zieht der kritische Künstler seine Spraydose hervor und schreibt seinen Weckruf an der Wand nieder: VELOS..? Gibt's die noch? Wo seid ihr hin, Fahrräder? Fährt denn hier jeder nur noch Auto? Ist das gut für unsere Gesellschaft?

MÖGLICHKEIT 3: Das geheime Akronym
Das Wort ist in Grossbuchstaben niedergeschrieben worden. Das lässt den Schluss zu, dass es sich um ein Akronym wie UBS oder NASA handelt. Was könnte gemeint sein?
Verein Echt Lustiger Ostschweizer Saunabesucher?
Voluminöser EidechsenLift Ohne Sicherungen?
Verteidigung Einzigartiger Lampenschirme Oft Sinnlos?
Vielseitige Elefanten Lassen Opa Sterben?

Bevor ich es wieder einmal zu weit treibe mit dem Interpretieren: Vielleicht hatte der Autor auch einfach nur bewusstseinserweiternde Substanzen intus. Oder war Anhänger der Kunstrichtung des Dadaismus. Oder beides. Falls er das hier liest, soll er sich doch bei mir melden, ich platze fast vor Spannung. Und Sie, liebe(r) Leser(in), sind natürlich auch dazu eingeladen, in den Kommentaren Ihre Interpretation darzulegen. Wir müssen diesem Problem auf den Grund gehen. Wir MÜSSEN, verstehen Sie? Wer weiss, was auf dem Spiel steht?!

-Der Sprachbeschreiber