Montag, 31. März 2014

16: Vorausgesetzt

Achtung Quizfrage! Und nein, keine, die die Verblödung in der Konsumgesellschaft repräsentiert wie etwa "Was halte ich hier in der Hand? Ist das A Eine Türklinke oder B Ein Atomkraftwerk?". Danke dafür, Super RTL. Nein, meine ist eine echte Knacknuss. Sie lautet:
Wie nennt man in der Sprachwissenschaft eine "einem Satz, einer Aussage zugrunde liegende, als gegeben angenommene unausgesprochene Voraussetzung"(duden.de)?
Tick...
Tack...
Tick...
Tack...
Tick...
Tack...
Time's up!
Und die Antwort lauteeeeet: "Präsupposition"! Ich versichere Ihnen ein anerkennendes Zunicken mit "Not bad"-Schmolllippe, wenn Sie auf diese Antwort gekommen sein sollten. Diese Woche wollen wir uns also mit Präsuppositionen, mit "als gegeben angenommenen, unausgesprochenen Voraussetzungen" bei Sprechakten auseinandersetzen. Hier eine kleine Demonstration aus einem Dokument der Uni Leipzig, ein Satz und darunter drei Präsuppositionen:

"Peter hat das Buch an Paul zurückgegeben. 
 >> >Es gibt genau ein Buch, über das hier gesprochen wird. 
 >> >Das Buch ist vorher im Besitz von Paul gewesen. 
 >> >Das Buch ist vorher auf irgendeine Weise von Paul zu Peter gelangt."
(http://www.uni-leipzig.de/~doelling/veranstaltungen/praefok1.pdf)

Da gehen einem doch die Augen auf, was? Damit man den Satz für sich richtig verstehen kann, muss man sich erst einmal der drei Dinge darunter bewusst sein! Nun überlegen Sie mal: Würden wir alle Informationen explizit angeben, die wir bei unseren Sprechakten implizit voraussetzen, dann wären Gespräche ziemlich zeitraubende Angelegenheiten. Das krasse ist ja, dass wir diese ganzen Präsuppositionen gar nicht bewusst verarbeiten müssen! Unser Gehirn verlinkt und assoziiert blitzschnell alles mit unserem Wissen, und wir merken gar nicht mehr, wie unzugänglich unsere Sprache einem Ausserirdischen wäre; jemanden, der nicht über unser irdisches Weltwissen verfügt - selbst wenn dieser unserer Sprache mächtig wäre, würden wir immer noch so vieles voraussetzen, dass er überfordert wäre. Man kann es noch viel weiter treiben. Der Satz "Peter hat das Buch an Paul zurückgegeben" präsupponiert theoretisch auch, dass "Peter" und "Paul" Namen von Menschen sind, dass es möglich ist, Bücher zurückzugeben, und gewissermassen auch, dass der Empfänger des Sprechakts hören bzw. lesen und Deutsch verstehen kann. Es ist wahrlich kaum zu glauben, welche Leistungen unser Hirn beim Sprachgebrauch zu vollbringen sich im Stande befindet: Zahlreiche Informationen werden aktiviert und vernetzt, ohne dass man bewusst daran denken müsste!

Das Bestimmen von Präsuppositionen fühlt sich immer wieder sehr merkwürdig an, so, als würde einem jemand sagen: "Du brauchst Sauerstoff zum Überleben!": Einerseits ist einem das absolut klar, andererseits merkt man, dass man fast gar nie an diese grundlegende Tatsache denkt. An der Hochschule haben wir dieses Bestimmen unter anderem an Werbetexten geübt. Im Zug hört man z.B. manchmal folgendes: "Gönnen Sie sich einen kulinarischen Zwischenhalt im Speisewagen in der Zugsmitte!". Dieser Satz setzt voraus, dass ein kulinarischer Zwischenhalt etwas Erstrebenswertes, Angenehmes ist. Stellen Sie sich vor, man würde das sprachlich realisieren! "Kommen Sie in unserem Speisewagen vorbei! Da gibt es was zu Essen, denn das ist lecker und macht Freude, und der Freude streben Sie als Mensch ja nach!". Irgendwie auf eine banale Art entlarvend, finden Sie nicht?

Eigentlich liegt in dieser impliziten Arbeit des Gehirns ja auch die Würze von Rhetorik, der Redekunst, und natürlich auch von Witzen. Witze gründen immer auf irgend eine Art von Vorwissen. Und das muss der Hörer selbst vernetzen, damit's lustig werden kann. Sie wissen ja: Das Erklären eines Witzes ist wie das Sezieren eines Frosches: Man versteht die Sache nachher zwar besser, aber sie ist dann halt tot.
Ein Beispiel:
Warum hat Ostfriesland keine U-Boote mehr? 
Es hatte einen Tag der offenen Tür gegeben.
Der ist ok, oder? Wenn jetzt einer komisch dreinschaut und man sagt dem: "Kapierste den nicht? Wenn man die Türen von U-Booten aufmacht, dann kann es theoretisch passieren, dass zu viel Wasser hineinfliesst, und dann sinken sie", was passiert? Der Witz ringt nach Luft und fällt sofort tot um. Obwohl alle doch genau das irgendwie gedacht haben müssen, sonst hätte doch keiner gelacht! Das ist wie beim Gesellschaftsspiel "Tabu": Nur nicht das Offensichtliche aussprechen! Drumherum reden und raten lassen. Dann ist der Witz witzig. Faszinierend. Wo kann man Humor studieren?

So, wieder ein wenig Linguistikwissen weitergegeben! Aber bevor ich hier noch weitere Witze ermorde, mache ich jetzt für diese Woche erstmal Schluss. Adieu!

-Der Sprachbeschreiber


P.S. Der Bildwitz hier verlangt ein überdurchschnittlich grosses Mass an verschiedenartiger Bildung und Vernetzungsfähigkeit. Cool, wenn Sie den begreifen.

2 Kommentare:

  1. Pavlov indeed rang a bell :)
    Lg Robin

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    1. Findi guet! Dr Robin isch d Nömber One!
      Lg Roger Schawinski

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