Montag, 31. März 2014

16: Vorausgesetzt

Achtung Quizfrage! Und nein, keine, die die Verblödung in der Konsumgesellschaft repräsentiert wie etwa "Was halte ich hier in der Hand? Ist das A Eine Türklinke oder B Ein Atomkraftwerk?". Danke dafür, Super RTL. Nein, meine ist eine echte Knacknuss. Sie lautet:
Wie nennt man in der Sprachwissenschaft eine "einem Satz, einer Aussage zugrunde liegende, als gegeben angenommene unausgesprochene Voraussetzung"(duden.de)?
Tick...
Tack...
Tick...
Tack...
Tick...
Tack...
Time's up!
Und die Antwort lauteeeeet: "Präsupposition"! Ich versichere Ihnen ein anerkennendes Zunicken mit "Not bad"-Schmolllippe, wenn Sie auf diese Antwort gekommen sein sollten. Diese Woche wollen wir uns also mit Präsuppositionen, mit "als gegeben angenommenen, unausgesprochenen Voraussetzungen" bei Sprechakten auseinandersetzen. Hier eine kleine Demonstration aus einem Dokument der Uni Leipzig, ein Satz und darunter drei Präsuppositionen:

"Peter hat das Buch an Paul zurückgegeben. 
 >> >Es gibt genau ein Buch, über das hier gesprochen wird. 
 >> >Das Buch ist vorher im Besitz von Paul gewesen. 
 >> >Das Buch ist vorher auf irgendeine Weise von Paul zu Peter gelangt."
(http://www.uni-leipzig.de/~doelling/veranstaltungen/praefok1.pdf)

Da gehen einem doch die Augen auf, was? Damit man den Satz für sich richtig verstehen kann, muss man sich erst einmal der drei Dinge darunter bewusst sein! Nun überlegen Sie mal: Würden wir alle Informationen explizit angeben, die wir bei unseren Sprechakten implizit voraussetzen, dann wären Gespräche ziemlich zeitraubende Angelegenheiten. Das krasse ist ja, dass wir diese ganzen Präsuppositionen gar nicht bewusst verarbeiten müssen! Unser Gehirn verlinkt und assoziiert blitzschnell alles mit unserem Wissen, und wir merken gar nicht mehr, wie unzugänglich unsere Sprache einem Ausserirdischen wäre; jemanden, der nicht über unser irdisches Weltwissen verfügt - selbst wenn dieser unserer Sprache mächtig wäre, würden wir immer noch so vieles voraussetzen, dass er überfordert wäre. Man kann es noch viel weiter treiben. Der Satz "Peter hat das Buch an Paul zurückgegeben" präsupponiert theoretisch auch, dass "Peter" und "Paul" Namen von Menschen sind, dass es möglich ist, Bücher zurückzugeben, und gewissermassen auch, dass der Empfänger des Sprechakts hören bzw. lesen und Deutsch verstehen kann. Es ist wahrlich kaum zu glauben, welche Leistungen unser Hirn beim Sprachgebrauch zu vollbringen sich im Stande befindet: Zahlreiche Informationen werden aktiviert und vernetzt, ohne dass man bewusst daran denken müsste!

Das Bestimmen von Präsuppositionen fühlt sich immer wieder sehr merkwürdig an, so, als würde einem jemand sagen: "Du brauchst Sauerstoff zum Überleben!": Einerseits ist einem das absolut klar, andererseits merkt man, dass man fast gar nie an diese grundlegende Tatsache denkt. An der Hochschule haben wir dieses Bestimmen unter anderem an Werbetexten geübt. Im Zug hört man z.B. manchmal folgendes: "Gönnen Sie sich einen kulinarischen Zwischenhalt im Speisewagen in der Zugsmitte!". Dieser Satz setzt voraus, dass ein kulinarischer Zwischenhalt etwas Erstrebenswertes, Angenehmes ist. Stellen Sie sich vor, man würde das sprachlich realisieren! "Kommen Sie in unserem Speisewagen vorbei! Da gibt es was zu Essen, denn das ist lecker und macht Freude, und der Freude streben Sie als Mensch ja nach!". Irgendwie auf eine banale Art entlarvend, finden Sie nicht?

Eigentlich liegt in dieser impliziten Arbeit des Gehirns ja auch die Würze von Rhetorik, der Redekunst, und natürlich auch von Witzen. Witze gründen immer auf irgend eine Art von Vorwissen. Und das muss der Hörer selbst vernetzen, damit's lustig werden kann. Sie wissen ja: Das Erklären eines Witzes ist wie das Sezieren eines Frosches: Man versteht die Sache nachher zwar besser, aber sie ist dann halt tot.
Ein Beispiel:
Warum hat Ostfriesland keine U-Boote mehr? 
Es hatte einen Tag der offenen Tür gegeben.
Der ist ok, oder? Wenn jetzt einer komisch dreinschaut und man sagt dem: "Kapierste den nicht? Wenn man die Türen von U-Booten aufmacht, dann kann es theoretisch passieren, dass zu viel Wasser hineinfliesst, und dann sinken sie", was passiert? Der Witz ringt nach Luft und fällt sofort tot um. Obwohl alle doch genau das irgendwie gedacht haben müssen, sonst hätte doch keiner gelacht! Das ist wie beim Gesellschaftsspiel "Tabu": Nur nicht das Offensichtliche aussprechen! Drumherum reden und raten lassen. Dann ist der Witz witzig. Faszinierend. Wo kann man Humor studieren?

So, wieder ein wenig Linguistikwissen weitergegeben! Aber bevor ich hier noch weitere Witze ermorde, mache ich jetzt für diese Woche erstmal Schluss. Adieu!

-Der Sprachbeschreiber


P.S. Der Bildwitz hier verlangt ein überdurchschnittlich grosses Mass an verschiedenartiger Bildung und Vernetzungsfähigkeit. Cool, wenn Sie den begreifen.

Montag, 24. März 2014

15: Aus dem Zwischennetz gefischt

So, diese Woche gibt's mal was anderes, die Textquantität sinkt drastisch, es dominiert Bildmaterial! Ich hoffe, dass ich Ihnen, geschätzte(r) Leser(in), nicht erklären muss, was ich mit dem "Zwischennetz" meine. Tipp: Der Name der Stadt Interlaken bedeutet "zwischen Seen". Inter... Netz... Internet. Na also. Und ein paar amüsante Fundstücke daraus, die mit Sprache zu tun haben, habe ich hier für Sie zusammengestellt. Selbstverständlich brauchen Sie für diesen Post Kenntnisse der Weltkommunikationssprache Nummer 1, Englisch. Mal sehen, wo uns die Themen aus meinem Blog so überall begegnen!

 


Wieder mal Ärger mit Sprachtraditionen - man denke an Post 5! "Lebe deinen Traum" klingt irgendwie bunter, ja. Aber es trifft die Sache nicht. Wenn wir dem nachstreben würden, was wir so alles träumen... Das wäre dann wohl hin und wieder ein wenig merkwürdig.












Wenn Sie diesen Sprachspielcomic hier knacken, dann ist das keine schlechte Leistung. 









Hihihihihi. Hat geklappt, oder? Das wir statt Buchstaben ganze Worte scannen und mit unserem Vokabular abgleichen, muss ich ja eigentlich nicht nochmal wiederholen, oder?








Das hier hat mit Post 11 zu tun. Wir sagen immer "giftig", auf Englisch wird das in zwei Varianten der Giftigkeit aufgespalten.



Manchmal erscheint es mir verrückt, dass schon ein einzelner Laut in einem Wort dessen Bedeutung komplett ändern kann.









...

Viele Muttersprachler machen Rechtschreibfehler, für die man beim Muttersprachenerwerb irgendwie anfälliger zu sein scheint als beim Fremdsprachenerwerb. "Your" und "You're" klingen halt gleich, sind aber grundlegend verschieden. Darauf, dass viele da mal was verwechseln, wird hier mit einem coolen Vergleich reagiert.





Die Syntax, also der Satzbau, steht im Dienst der kommunikativen Funktion. Eines von vielen unglücklich formulierten Beispielen sehen wir hier.





Bei diesem Auftrag wurde die Kohäsion vernachlässigt. Der Zusammenhang fehlt, die Bezüge sind zu unklar. Solche Probleme lassen einen Mangel an Linguistic Awareness vermuten.






Die tiefgründige Sprachphilosophie in diesem Beispiel haut einen fast aus den Socken, nicht? Meine Recherchen lassen darauf schliessen, dass der Begriff "waiter" von Zollbeamten geprägt wurde, die an der Küste auf anlegende Schiffe warteten, deren Güter versteuert werden mussten. Das nimmt der Frage hier aber keineswegs die Berechtigung.






Und nun noch eine schöne Ladung Ironie in Form der Pseudo-Schreibregeln "How to write good" von Frank L. Visco, mit einem erweiternden Set aus William Safires "Rules for writers".



Genug gescrollt, oder? Wenn Sie mal was in dieser Art finden, dann dürfen Sie mir sehr gern den Link schicken. In meiner Sammlung ist noch viel Platz! Es grüsst

-Der Sprachbeschreiber

Montag, 17. März 2014

14: Der Linguist als Kampfrichter

Hallo, gute Leserin, hallo, guter Leser. In meinem Assessmentjahr zum Übersetzerstudium war ich nach einer Linguistikvorlesung derart inspirationsüberladen, dass ich etwas produzieren musste. Ich biete Ihnen an, sich diese Woche das entstandene Produkt anzusehen.

Imageshooting – wenn der Linguist zum Kampfrichter wird
Ein Konzept für eine Analysespielerei von Raphael Dorigo, Student Angewandte Linguistik

Wenn Menschen miteinander sprechen, dann kommt es regelmässig vor, dass sie einander in unangenehme Situationen bringen. Sie schränken mit ihren Sprechakten die Bewegungsfreiheit eines Teilnehmers ein oder greifen das Selbstbewusstsein einer Person an – bei anderen genauso wie bei sich selbst. Die Linguistik bezeichnet die Handlungsfreiheit als das „negative Gesicht“, das eigene, positive Selbstbild als das „positive Gesicht“ (im Englischen spricht man jeweils vom „image“). Die Sprechakte, mit denen man diese Gesichter angreift, nennt die Sprachwissenschaft „GBAs“ (Gesichtsbedrohende Akte). Da von Linguisten eine Formel entwickelt wurde, mit der man das Gefährdungspotenzial solcher GBAs beziffern kann, bietet es sich an, den Schaden, der den Gesichtern in einem Gespräch – zumindest theoretisch – zugefügt wird, zu messen und die „Leistungen“ der Gesprächsteilnehmer in dieser Hinsicht zu vergleichen.

Durchführung

Der Linguist nimmt ein Gespräch auf. Es empfiehlt sich eine Videoaufnahme, vor allem bei Gesprächen mit mehr als zwei Teilnehmern, damit Angreifer und Angegriffener jeweils sicher identifiziert werden können. Zudem ist so eine detailliertere Analyse möglich, da das Verhalten, die GBAs und die Reaktionen auf allen Kommunikationskanälen und auch im nonverbalen Bereich beobachtet werden können. Für eine simple Runde mit zwei Teilnehmern reicht eine Tonaufnahme aber gut aus. Die Aufnahme wird dann auf GBAs untersucht.

GBAs für Gegenüber
-Auf negatives Gesicht (Handlungsfreiheit): Befehlen, bitten, fragen, vorschlagen, mahnen, drohen, warnen, anbieten, versprechen, komplimentieren, Hass, Wut, Lust ausdrücken,Tabus/brisante Themen ansprechen etc.
-Auf positives Gesicht (positives Selbstbild): kritisieren, Geringschätzung äussern, tadeln, beleidigen, widersprechen, unterbrechen, keine Aufmerksamkeit schenken etc.

GBAs für sich selbst
-Auf negatives Gesicht:Angebot annehmen, Dankbarkeit ausdrücken, Dank oder Entschuldigung annehmen,auf einen Faux-pas reagieren oder nicht, unfreiwillig/erzwungene Versprechen/Angebote machen etc.
-Auf positives Gesicht:sich rechtfertigen, sich entschuldigen, sich demütigen, beichten/Schuld eingestehen, heftige, unkontrollierte Gefühlsausbrüche, Zusammenbruch physischer Körperkontrolle etc.

Die gesammelten Attacken werden jeweils mit einem Wert auf einer Skala von 1 bis 9 eingestuft, der die Summe W aus folgender Formel repräsentiert:

Soziale Distanz zwischen Gesprächspartnern (D, 0-3) + Macht des Hörers über den Sprecher (P, 0-3) + Sensibilität der jeweiligen Kultur auf derartige Akte (Rx,1-3), W = D+M+Rx
(Quellmaterial: Marcel Eggler, Vorlesung Linguistik 2, Studiengang Übersetzen am Institut für Übersetzen und Dolmetschen des Departements Angewandte Linguistik an der ZHAW Winterthur)

Beispiel: Zürich: Fritz fragt seinen guten Freund Hans, wie es ihm geht. Das ist eine Frage, also ein GBA für das negative Gesicht von Hans. Die soziale Distanz zwischen den beiden ist minim (0), Hans ist hierarchisch mit Fritz genau gleichgestellt (0) und in der Schweiz ist das kulturell ziemlich unproblematisch (1). Fritz fügt Hans also nur einen Schadenspunkt zu (0+0+1 = 1).

Auswertung
Nun gibt es verschiedene Arten, die Punktzahlen auszuwerten und einen Sieger zu bestimmen. Hier ein paar Varianten:

Das „death match“
Es gewinnt der, der dem Gegenüber mehr Schaden zugefügt hat.

Das „Pokémon battle“
Die Teilnehmer gehen mit einer bestimmten Anzahl an „Kraftpunkten“ ins Gespräch, die sie durch GBAs verlieren. Wer keine mehr hat, scheidet aus (seine Angriffe werden nicht mehr gewertet). Wer am Ende noch die meisten Kraftpunkte hat oder als einziger nicht besiegt wird, gewinnt.

Der pazifistische Ansatz
Sieger ist, wer dem Gegenüber am wenigsten Schaden zufügt.

Mögliche Probleme
Das Spiel ist noch nicht praxiserprobt. Schwierigkeiten könnten sich voraussichtlich folgendermassen zeigen:

-Es ist nicht immer klar, ob und inwiefern Sprechakte GBAs sind. Schränkt man nicht mit 
nahezu allem, was man jemanden sagt, seine Bewegungsfreiheit ein, weil eine bestimmte Reaktion erwartet wird? Die Bewertung ist immer schwierig und zwangsläufig subjektiv.

-Oft gibt es am laufenden Band Attacken auf die Gesichter, deswegen sollten die „Kämpfe“ aufgenommen werden. Ein Sprechakt kann auch verschiedene GBAs zur gleichen Zeit beinhalten.

-Wenn er ein Gesicht angreift, muss sich der Sprecher für eine Anwendungsstrategie entscheiden. Zunächst wählt die Person zwischen den Modi „offenkundig“ und „implizit“. Dazu kommt die Entscheidung zwischen „mit Kompensationsbemühungen“ und „ohne Kompensation“. Wählt man dabei ersteres, so muss man sich dann zwischen„positiver“ (Betonung der positiven Beziehung zwischen einander, Komplimente einbauen) und „negativer Höflichkeit“ (Floskeleinsatz) entscheiden. Eine komplexe Verwendungsstrategie erschwert es, einen GBA genau zu kategorisieren und einzustufen.

All das deutet darauf hin, dass es Sinn ergibt, das Feld der zu bewertenden GBAs einzuschränken – sei es auf die aufgeführte Liste der ZHAW oder auf eine noch engere Auswahl.


Weiterführende Gedanken
Spannend wird es, wenn man innerhalb eines bestimmten sozialen 

Umfelds genug Gespräche für ein Ranking aufnehmen kann, das man etwa nach durchschnittlich verursachtem Schaden aufstellt und so etwa den "gefährlichsten" und den "harmlosesten" Gesprächspartner der Gruppe bestimmt. Auch die Gegenreaktion auf eine Attacke wäre ein Faktor, dessen genauere Berücksichtigung hochspannend, aber auch sehr anspruchsvoll wäre. Zudem wäre es interessant, dem Angriffswert der GBAs eine Zahl hinzuzufügen, die sich aus der Bewertung des entstandenen Schadens ergibt; man versucht also aus der Reaktion des Angegriffenen abzuschätzen, wie verheerend der Angriff für das betroffene Gesicht tatsächlich war. Ausserdem wäre die Einführung von Kategorien und die Einteilung von Personen in diese denkbar.

Es stellt sich zudem eine ganz zentrale Frage beim Imageshooting: Wie hat ein wünschenswertes Gespräch diesbezüglich abzulaufen? Muss man auch mal ein Gesicht riskant angreifen, und wenn ja, wann? Oder muss Schadensbegrenzung dass ultimative Ziel sein? Es wäre allemal vernünftig, Imageshooting-Auswertungen allem Spass zum Trotz eher analytisch als schadenfreudig zu betrachten. 


Tja, Gespräche scheinen unter der Oberfläche etwas unglaublich Brutales zu sein. Aber auch etwas Unterhaltsames. Dann bis nächste Woche, wie ich hoffe.

-Der Sprachbeschreiber

Montag, 10. März 2014

13: Heitere Sprachspiele #2

Meiner überschäumenden Sprachfantasie sei's gedankt: Hier kommt Runde 2 der Sprachspieleintragsreihe.

Mir ist noch eine Form der Verdrehung in den Sinn gekommen: So lässt sich zum Beispiel auch der Fokus bei Beschreibungen von Positionen von Gegenständen verdrehen. "Da klebt ein Tisch an diesem Kaugummi." "Da ist ein Hausdach unter meinem Ball." "Da ist ein Meer um das Boot herum". Krasse Konventionen, flink verdreht.

Unser Gehirn ist ja zu den witzigsten Dingen in der Lage. Kennen Sie das, dass Sie an einer Stelle einen Laut oder eine Silbe sprechen, der/die erst später drangekommen wäre, und dann automatisch akkurat vertauschen? Die Wegstaben verbuchseln, genau. Das kann man wegen unseren tollen Gehirnen ja auch hin und wieder in einer Unterhaltung abmachlich sichten. Staben sie das verhanden? Dann ist ja Ordnes in allung. Geiter weht's.

Ich und ein paar Freunde kamen vor einiger Zeit - wenngleich auch nicht als die ersten - auf die Idee, aus "niemand" eine Person und aus "nichts" einen Gegenstand zu machen. Immerhin sind das offiziell Pronomen, sie müssten also zumindest theoretisch für etwas reales stehen! Wenn man Leuten so zuhört, während sie Aussagen über diesen mysteriösen Menschen und dieses obskure Ding machen, dann ergeben sich verwirrende Bilder über die Eigenschaften dieser beiden. Ungemein verwirrende Bilder, und das beschäftigt manche Menschen SEHR. Und wenn Ihnen das zu blöd werden sollte, dann können Sie immer noch statt "niemand" einfach "alle nicht" oder statt "nichts" entsprechend "alles nicht" sagen. Klingt aber teilweise auch etwas härter: "Alle haben mir nicht geholfen, und jetzt stehe ich da und habe alles nicht!". Da zeigt sich mal, was wir da so tatsächlich sagen, wenn wir mit "niemand" und "nichts" um uns werfen!

Ein enorm hohes Niveau der Sprachspielerei wird beim Spielen mit sogenannten Strukturmetaphern erreicht. Ich zitiere aus einem Vorlesungsskript von M. Eggler, Dozent Linguistik an der ZHAW:

"Von konzeptuellen Metaphern/Strukturmetaphern spricht man in den Fällen, in denen ein komplexes Konzept (z.B. ARGUMENTATION) von einem anderen (bildhafteren, konkreteren) komplexen Konzept her metaphorisch strukturiert wird.
Die konzeptuelle Metapher / Strukturmetapher ZEIT IST GELD: 
(...)
-Mit diesem Gerät können Sie viel Zeit sparen!
-Dieser platte Reifen kostet mich eine Stunde.
(...)
Viele Strukturmetaphern haben nur partiellen Charakter, d.h., es gibt einen 'unbenutzten Teil', der sprachlich nicht realisiert wird und dessen Realisierung einen komischen Effekt hervorrufen würde: 
THEORIEN SIND GEBÄUDE
Das Fundament seiner Theorie wackelt. (...) Wir brauchen weitere Fakten, damit die Argumentation nicht in sich zusammenfällt.
? Seine Theorie hat tausend Kämmerchen und lange labyrinthische Fluren.
? Seine Theorien entsprechen in ihrer pseudofunktionalen Einfachheit dem Bauhausstil.
Er liebt schaurige Monumentaltheorien, die mit Fratzen verziert sind.
? Komplexe Theorien haben üblicherweise Probleme mit der Inneneinrichtung."

Poah, dachte ich mir damals in Semester 2, wenn ich mal jemanden in dieser Königsdisziplin ein Sprachspiel machen höre, dem würde ich persönlich die Hand schütteln wollen. Aber damit sowas unterhaltsam ist, muss der Hörer über das nötige Vorwissen verfügen, damit er das Spiel verstehen kann, und das ist hier ein enormer Anspruch. Aber der Gedanke ist doch faszinierend, nicht wahr?

-Der Schreibbespracher

Montag, 3. März 2014

12: Suboptimale Sprachverwendung in der Basler Zeitung

Festhalten, anschnallen, heute wird's kritisch. Ich analysiere die sprachlichen Missstände in einer Zeitung, die seit ihrer Übernahme durch Personen aus rechtsorientierten Kreisen an Qualität und glücklicherweise auch entsprechend an Lesern eingebüsst hat: Die Basler Zeitung (BaZ). Das Problem: Die politische Ausrichtung ist zu deutlich spürbar, und manche Berichte verletzen sogar, mal mehr, mal weniger stark, die Regeln des objektiven journalistischen Schreibens. Von Vertretern welcher politischen Seite die Zeitung geführt wird, darf bei der allgemeinen Berichterstattung eines solchen Meinungsbildungsmediums in einer direkten Demokratie keinesfalls durchscheinen. Das dem aber in der BaZ immer wieder so ist, lässt sich linguistisch verschiedentlich nachweisen, wie mir auffiel.

Es hat sich in Diskussionen im Vorfeld dieses Posts (leider) herausgestellt, dass ich zunächst etwas Grundlegendes klar stellen muss - auch, um zu zeigen, dass meine Ausführungen Hand und Fuss haben: Objektivität ist ein elementares Kriterium für die Berichte einer solchen Zeitung. Punkt, aus, Ende. Subjektivität ist nur in separaten Kommentaren erlaubt. Ich studiere im Gebiet der angewandten Linguistik, habe dabei verschiedenste Textsorten näher kennengelernt und mich selbst im Verfassen journalistischer Texte geübt und kenne folglich die Regeln. Für die letzten Zweifler zitiere ich im Folgenden eine Internetquelle und Fachliteratur:

"Grundsätzlicher Anspruch des Journalismus ist Objektivität. Der Journalist muss zwischen Fakten (Nachrichten) und Meinung (Kommentar) unterscheiden. Eine subjektive Meinung sollte in Nachrichten keinesfalls einfließen. Wenn dies dennoch geschieht, so muss diese Meinung gekennzeichnet werden (z.B.: als Kommentar)." (http://odl.vwv.at/deutsch/odlres/res3/TEXTBETRACHTUNG_nicht-literarischer_Text/03theorietextbetrachtung_nicht.htm)

"Im Bericht werden die Sachverhalte dargestellt und die Hintergründe dazu beleuchtet. Ursprünglich beruhte der Bericht auf Augenzeugenschaft. Dann genügte das Sammeln, Ordnen, und Darstellen selbst erarbeiteter oder kritisch übernommener Einzelheiten, die zu einem Ganzen zusammengesetzt werden. Berichte haben sachlich zu sein, bündig, klar, lückenlos, objektiv und glaubwürdig. Alle möglichen und notwendigen Gesichtspunkte sollten berücksichtigt werden, wobei parteiliche Stellungnahme ausscheidet." (Strassner, Erich (2000): Journalistische Texte. Tübingen: Niemeyer)

So, die theoretische Grundlage hätten wir. Jetzt werfen wir doch mal einen Blick in die allgemeine Berichterstattung der BaZ. Was wir dort den journalismussprachlichen Regeln zufolge nicht finden dürfen, sind Anzeichen von Subjektivität, wie etwa fehlende Kennzeichnung von Meinungen, nicht objektive Stile in der Wortwahl, pauschale Behauptungen, die als Tatsachen dargestellt werden, plakative, schwer haltbare Verallgemeinerungen etc.

Hier eine Schlagzeile vom 5.2.14: "Verkehrsregime Innerstadt: Regierung krebst zurück". Die Regierung hat sich also laut BaZ nicht etwa "umentschieden" oder nach reiflicher Überlegung "den Kurs gewechselt", sondern traut sich nun doch nicht, den eigentlich geplanten Weg zu gehen, und weicht deshalb feige zurück. "Zurück krebsen" ist negativ konnotiert, man kann "depreciatory style" feststellen, und ein solcher Stil ist ein Indiz für Subjektivität. Man kann die rechte Regierungsverdrossenheit schon bei der Schlagzeile spüren. Nicht gut. Oder schauen Sie mal hier:







                                                        Der Unia wird in diesem Artikel von Anfang an pauschal unterstellt, die Messe Baselworld als Werbeplattform missbrauchen zu wollen. Wieder drückt der Stil der Wortwahl im Artikel Wertungen aus ("Kampfzone", "Missbrauch", "Katastrophe", "Störaktion") und allein schon die Tatsache, dass die Baselworld noch gar nicht begonnen hat, lässt eine solche sprachliche Darstellung der Dinge aus objektivem Blickwinkel nicht zu. Doch Schlagzeile und Leadsatz suggerieren linguistisch gesehen, dass es sich um eine erwiesene Tatsache handelt. Es heisst noch nicht einmal "Der Unia wird vorgeworfen" oder "Es scheint, dass..."! Stattdessen formuliert man so, als wisse man genaustens, was Sache ist. Doch sogar der Artikel selbst zeigt im weiteren Verlauf, dass die Vorwürfe nichts weiter als Mutmassungen sind, formuliert von Journalisten, die mit der linksorientierten Unia wenig sympathisieren - Personen aus dem Rechtssektor. Da heisst es dann doch plötzlich, es werde nur "vermutet" (die einzigen, die im Artikel Vermutungen äussern, sind solche, die die offensichtliche Meinung der BaZ unterstützen. Die Unia habe sich nicht äussern wollen - diese Bemerkung muss scheinbar für den Standpunkt der Gegenseite ausreichen). Der Topkommentar zum Artikel auf bazonline lautet in bezeichnender Weise: "Die UNIA ist ja nur noch ein Haufen linker Profilneurotiker mit einem geschützten Arbeitsplatz. Früher war das bei der richtigen Gewerkschaften (sic!) anders...". Da liest einer zwischen den Zeilen und bringt die Essenz schön auf den Punkt!

In einem weiteren suboptimalen Artikel geht es um einen brisanten Entscheid, den kürzlich das Bundesgericht fällte. Ein Polizist hatte an der Uhren- und Schmuckmesse in Basel 2007 einen algerischen Asylbewerber wegen Verdachts auf Taschendiebstahl verhaftet, ihm Handschellen angelegt und ihn dann öffentlich als "Sauausländer" und "Drecksasylant" bezeichnet. Die Basler Justiz verurteilte den Mann wegen rassendiskriminierender Beschimpfung zu einer bedingten Geldstrafe. Das Bundesgericht befand nun, die verwendeten Schimpfwörter seien nicht rassistisch. Hier die Schlagzeilen und Leads der BaZ und der Konkurrenzzeitung BZ Basel dazu im Vergleich:



Im Zentrum steht hier, dass der Polizist Recht bekam. Und da, schon wieder: Durch die verwendete Sprache wird ausgesagt, die Basler Gerichtsurteile seien aus objektiver Sichtweise falsch. Sie werden nicht "vom Bundesgericht als falsch angesehen", sondern sie sind es hier. Im Artikel kommt ausschliesslich SVP-Vertreter Eduard Rutschmann zu Wort, mit dessen Aussagen man die Subjektivität "rechtfertigt": Man zeigt mit den Zitaten, dass es sich nur um eine Meinung handelt - es bleibt aber die einzige vertretene Meinung im Artikel. Wo bleibt die Möglichkeit zur freien Meinungsbildung?




Hier die BZ: Es wird nicht plakativ die eigene Meinung gezeigt. Stattdessen fragte man bei Spezialisten für Rassismusfragen an und liess diese den Fall bewerten. Im Artikel kommen auch nicht nur diese Experten, sondern verschiedenste andere Persönlichkeiten zu Wort, die Meinung des Verfassers ist nicht erkennbar. Der Artikel ist voller vorsichtiger Kennzeichnungen von Meinungen und subjektiven Aussagen in Form von Präpositionen wie "laut" und "gemäss" und indirekter Rede, womit die nötige objektive Darstellung erreicht wird.

Die BZ Basel wirbt nicht umsonst mit einer Kinowerbung, in der Basler Bürger Dinge sagen wie: "Ich brauche niemanden, der mir sagt, was ich zu denken habe! Aber ich lasse mich gern zum Denken anregen!", oder "Ich möchte mir unabhängig eine Meinung bilden können." Denn genau das sollte sich eine Zeitung auf die Fahne schreiben, die der BaZ erfolgreich die LeserInnen streitig machen möchte: Neutralität und Objektivität in puncto Inhalt und Sprache. Halten wir uns an Meinungsbildungsmedien, die darauf besser Acht geben und diese Bezeichnung folglich verdienen. Be aware!

-Der Sprachbeschreiber